Freitag, Mai 04, 2007

Der Großvater

Warum wir den Großvater nicht ganz so gern mochten?
Nun, er war polternd und autoritär;
Kinder vergeben ihre Liebe,
so ist es nun einmal, nicht immer fair.

Er machte mit uns Hausaufgaben,
ich rechnete oftmals auf gut Glück,
und wenn die Antwort dann nicht stimmte,
dann war man halt ein "dummes Stück".

Das abendliche Wissensquiz
das nahmen wir ihm krumm,
wir schätzten seine Mühe nicht
und stellten uns gern dumm.

Auf den Spaziergängen klimperten Groschen
in seinen Anzugtaschen,
bei jedem Kaugummitautomaten
gab's dann für uns zu naschen.

Wir wurden größer, und er wurde kleiner,
und irgendwie war er immer da,
doch trotz seiner ständigen Häuslichkeit
kamen wir uns doch nie ganz nah.

Er trug stets Anzug, Hemd und Krawatte,
doch bei Hitze zog er sich aus;
da trug er einen Badeschlüpfer,
aber nur heimlich hinter dem Haus.

Sei Hut roch nach Haarfett und Kopfhauttalg,
daran zu schnuppern war uns wie ein Zwang,
und wenn wir den großen Rasen mähten,
wies uns sein Spazierstock, wo lang.

Dann fuchtelte er mit dem hölzen Stab
mal hierhin, mal dorthin, und da!
Irgendwann mähten wir ohne ihn,
wenn Mittagsruhe war.

Beim späten Nachhausekommen erwischte er uns,
doch petzen tat er selten,
vielleicht, weil er's vergessen hat,
vielleicht ließ er es gelten.

Später kam es zu Wunderlichkeiten,
dann lief er Stadt einwärts mit Hut,
bekleidet mit seinem Bademantel,
das fanden wir nicht mehr gut.

Am Marktplatz holte ihn Oma ein,
und führte ihn schimpfend zurück,
da waren wir leider schon lang nicht mehr
beim Lernen sein "dummes Stück".

Das letzte gemeinsame Weihnachtsfest,
das sitzt bei mir noch tief,
in einem Rahmen, direkt beim Klavier,
da hängt sein handschriftlicher Brief.

Ein letzter Gruß, den ich oft betrachte,
einhundert Mark lagen bei,
Das Geld, das ist längst ausgegeben,
wir nannten es "Weihnachtsei".

Vielleicht taten wir ihm manchmal nicht Recht,
so unter den Generationen,
vielleicht war es auch nur nicht gut,
so eng zusammen zu wohnen.

Vorbei, vorbei, je älter ich werde,
umso klarer scheint mein Verstand,
ich habe von ihm zu wenig gewusst
und ihn wohl so nie ganz gekannt.